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"Tagträumen als Paradedisziplin" - weshalb AD(H)S bei Frauen noch immer (zu) spät erkannt wird

  • Autorenbild: Lea Schnyder
    Lea Schnyder
  • 6. Mai
  • 3 Min. Lesezeit

Ein Bericht aus dem echten Leben



«Ladina*, du bist 39zig und hast seit 4 Monaten eine ADHS-Diagnose. Wie kam es dazu?»


“Seit meiner Kindheit kommt mir das Leben immer wieder anstrengend vor. Bereits damals war ich häufig depressiv, nur wusste das niemand. Mit Anfang zwanzig, begab ich mich aufgrund einer Erschöpfungsdepression zum ersten Mal in psychiatrische Behandlung. Anfänglich wollte ich keine Medikamente nehmen, irgendwann habe ich mich dann doch darauf eingelassen. Das Antidepressivum hilft mir bis heute.

Das Gefühl, nicht richtig oder anders als alle anderen zu sein, begleitete mich weiterhin. Es gab immer auch stabile Zeiten und ich konnte eine Zweitausbildung absolvieren, mich beruflich weiterentwickeln und hatte verschiedene Partnerschaften. Mir war aber immer wieder alles zu viel, stets glaubte ich, dass ich zu wenig leiste und mich begleitete ein chronisches Minderwertigkeitsgefühl. In der Freizeit blieb häufig keine Energie mehr für Unternehmungen und ich zog mich am liebsten zurück. Vor drei Jahren wechselte ich aufgrund eines Umzugs meine Therapeutin und hatte grosses Glück. Eher zufällig stolperte ich über das Thema ADHS, weil mich Neurodivergenz sehr interessierte. Es führte Eines zum Anderen, als ich meine Therapeutin mit meinem Verdacht konfrontierte. Sie nahm mich ernst und so kam es, dass ich und auch meine Eltern erste Fragebögen ausfüllten.”




«Wie geht es dir heute mit der Diagnose?”


“Obwohl der Verdacht bereits bestand, hat mich die Diagnose erst mal traurig und wütend gemacht. Es kam eine Wut auf Lehrpersonen auf, die mich in der Schule blossgestellt haben, anstatt mir zu helfen. Eine Wut auf Kinderpsycholog:innen, die es nicht besser wussten. Trauer, über all die Beziehungsabbrüche und beruflichen Veränderungen, die mir immer wieder so viel abverlangten. Bald folgte aber ein Gefühl von Dankbarkeit. Dass es einen Namen für mein «anders sein» gibt, dass ich es mir nicht eingebildet habe. Auch erkenne ich nun die Möglichkeit, mein Leben zukünftig anders zu gestalten. Seit der Diagnose fühle ich mich bestärkt darin, mich selber zu sein..»


“Und die Vergangenheit?”

“Neben meinen beiden Brüdern, welche bereits beide früh die Diagnose ADHS und ADS erhielten, fiel ich nicht gross auf. Als Kind würde ich mich als still und angepasst beschrieben. Die ersten Schuljahre waren die Hölle, da die Lehrerin mir das Gefühl gab, nicht richtig zu sein. Ich wollte nicht in die Schule und ich musste häufig begleitet werden. Dem Unterricht zu folgen, war für mich ein Kraftakt und Tagträumen meine Paradedisziplin. Ich kann mich erinnern, dass ich mich als Kind nicht verstanden fühlte und ständig das Gefühl hatte falsch zu sein. «


«Was hast du im ADHS-Coaching gelernt?»


«Ich habe im Coaching diverse Tipps für den Alltag erhalten, die mir helfen. Ich mache auch für Kleinigkeiten einen Reminder oder habe Piktogramme mit Menuvorschlägen am Kühlschrank, damit mir meine Tochter diese Entscheidung auch mal abnehmen kann. Vor Allem die umfangreiche Psychoedukation hat mir sehr geholfen, mich selbst besser zu verstehen und zu akzeptieren. Dank dem Austausch im Coaching bin ich heute umsichtiger mit mir, wenn es einmal nicht so rund läuft.»



«Welche positiven Seiten der ADHS entdeckst du an dir selbst?»


«Ich kann super vernetzt denken und bleibe besonders in angespannten Situationen ruhig und fokussiert. Das ist sicher ein Vorteil fürs Leben.




«Du bist Mutter geworden, hast zwei abgeschlossene Ausbildungen. Wie hast du das alles geschafft?


"Meine Eltern haben mir stets vermittelt, dass man im Leben etwas ändern muss, wenn man unzufrieden ist. Ich scheue mich nicht davor, Menschen loszulassen, wenn sie mir nicht guttun oder den Job zu wechseln, wenn er mich nicht erfüllt. Ich stehe immer wieder auf und weiss, dass ich geliebt werde, egal was kommt. Es gibt Wege, mit ADHS gut durchs Leben zu kommen. Wir sind nicht dumm, unser Hirn funktioniert nur anders.»


«Danke, Ladina. Für deine Zeit.


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*Dieser Bericht entstand mit Einverständnis zur Veröffentlichung mit Deckname Ladina.

 
 
 

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